Freue mich über regelmäßige Unregelmäßigkeiten.
Über Anita O’Day, wunderschön singt sie „The Ballad of All the Sad Young Men“. Mag die Bilder dieser großen Dame, meist sieht man sie im Profil, mit geöffnetem Mund.
Über die Herren in Orange. Da kommen sie wieder, ihr Nachmittagswerk wird sein, die andere Seite der Straße, meine Seite der Straße, schön zu trimmen, Hecken zu stutzen, Gras zu mähen. Ihr Lärm wird meinen Nachmittag begleiten und mich wieder und wieder zucken lassen, nicht doch zur Gartenschere zu greifen um endlich, endlich meinen Lavendel zurück zu schneiden.
Und gleich, wenn ich der Repeat-Taste widerstehen werde, freue ich mich auf Herrn Roach, Max Roach. „It’s time“.
blogistin - Mittwoch, 26. Oktober 2005, 15:02
Montag Abend, ich sehe C., C., wie sie mit den Armen winkt, winkt und sich freut, so wie ich mich freue. Ein Jahr ist es her, fast ein Jahr. Sie streckt mir ihre Arme entgegen, umarmt mich, „Na?!“ Vertraut, ein Jahr soll es her sein? Wir wundern uns und reden, und essen, Currywurst, die beste der Stadt, gemütlich ist’s noch dazu, sie erzählt von den alten und neuen Kollegen, von der Familie, den Verlust eines Menschen lässt sie aus, erwähnt es in einem Nebensatz, ich wisse es doch schon. „Ja, sage ich, ich weiß es.“. Sie lacht, bestellt sich noch ein Bier, erzählt von ihren Ideen, vom Umzug, wild gestikuliert sie mit ihren Händen, ach, mit ihren ganzen Armen spricht sie, ich mag das, an ihr mag ich das. „Und?“ fragt sie mich, ich erzähle, sie hört zu, schaut mich mit ihrem neugierigen Blick an, lächelt, sie isst schnell, immer schon, ich erinnere mich, ich erinnere mich auch, dass ich in ihrer Gegenwart das Tempo haben kann, dass meiner Natur entspricht, schnell einen Satz aus dieser Geschichte, ein Ausflug zu jenem Gefühl und „Wie geht es eigentlich… ?“ Wir reden und reden und kratzen an der Oberfläche, ich bei ihr, sie bei mir, wir necken uns, lachen, nein, wirklich offenbaren tun wir einander nie, wozu auch, es macht Spaß, tiefgründiges in kleine, hübsche Wortschachteln zu verpacken, den anderen nur schnuppern zu lassen, am tiefen Gefühl, an der kleinen Sorge. Freude allerdings, die teilen wir, ungehemmt. Freude ist, was C. ausmacht, denke ich. Freude, die sie ausstrahlt, was immer passiert, Freude und die Kraft, weiterzumachen, was immer passiert. Nicht zu jammern, niemals, zu lamentieren allenfalls. „Ich bin in drei Wochen wieder hier, “ sagt sie, als wir uns verabschieden „Vielleicht sehen wir uns da schon wieder.“ Drei Wochen, drei Monate, drei Jahre, Zeit spielt keine Rolle.
Mittwoch Nachmittag, dreimal kehre ich zu dem großen Stand auf der Buchmesse zurück, um ein paar Minuten mit V. verbringen zu können, beim vierten Mal gelingt es mir schließlich, zwanzig Minuten haben wir, zwanzig Minuten zwischen zwei Terminen. Sie sieht mich zuerst, kommt mir mit weit geöffneten Armen entgegen „Vorhin dachte ich noch, ob sie vielleicht hier ist?’ Wie geht es dir?“ Ich erzähle, schaue in ihr fröhliches Gesicht, sie altert nicht, niemals, sie ist eine jener Frauen, die schöner werden, immer schöner, mit jedem Tag. Als sie spricht, von ihrem Leben erzählt, kann ich nicht wegsehen von ihrem schönen Gesicht, von ihrem Lächeln, das immer da ist, immer, stelle fest, sie ist genauso schnell wie C., wechselt die Themen in Windeseile, und doch, sie ist völlig anders, ruhig, ruhiger, ihr Lächeln ist ein Strahlen, hell, sehr hell. „Er“, sage ich und rücke ein klein wenig näher an sie heran „ist übrigens auch da. Und sie, sie auch.“. Jetzt rückt sie noch näher, näher zu mir, hält ihre Hand vor ihren Mund, wie ein kleines Mädchen sieht sie aus mit dieser heimlichtuerischen Geste, leiser spricht sie jetzt: „Oh, sag mir ungefähr wo, damit ich das Gebiet weiträumig …“. Sie lacht, als ich ihr die Koordinaten nenne, wir teilen ein paar Gedanken über unsere gemeinsame Vergangenheit, sind uns einig, einig über manch tiefes Gefühl. Da kommt er schon, ihr nächster Termin, eine kurze Umarmung. „Wir sehen uns!“ sagt sie. Ja, wir sehen uns, irgendwo, irgendwann. Zeit spielt keine Rolle.
Mittwoch Abend, F., drei Jahre, drei ganze Jahre ist es her, mit weit geöffneten Armen kommt er mir entgegen, weiter, weiter, irgendwo hin. Er geht noch immer sehr schnell, ich komme kaum nach, brauche ein paar Minuten, um mit seinem Tempo Schritt zu halten. Er redet, redet, lacht, redet, redet, lacht, den kurzen Weg bis ins Restaurant, wir sitzen, einfach irgendwo, schön, noch einen Platz zu bekommen an diesem Abend in dieser mit Menschen überfüllten Stadt, vergessen, das Essen auszuwählen, geduldig geht sie wieder, die Kellnerin. Teilen Gedanken, Ideen, Ideen, die es nicht gibt, sind uns einig, dass man keine Idee haben muss, um eine Idee zu haben. Lachen, reden, lachen. „Hast du die Zeit gesehen?“ denke ich, wir eilen zum Bahnhof, schnell, schnell, der Zug fährt gleich. „Komm bald mal wieder.“, sagt er. „Ja.“ denke ich. Zeit spielt keine Rolle.
blogistin - Dienstag, 25. Oktober 2005, 14:16
"Walzer," denkt sie für einen Augenblick, verwirft den Gedanken sogleich wieder als das Schlagzeug einsetzt, in der 53. Sekunde dieses wundervollen kleinen Stücks Musik. Sie schaut nach links auf die Hülle der CD, als ob sie dort eine Antwort finden könnte, eine Erklärung zu diesem seltsamen Takt, bemerkt eine klitzekleine Wunde an einem Finger der linken Hand, sie blutet, ein wenig, so klein sie auch ist. Sie legt den Finger an die Lippen, saugt den Tropfen Blut weg, zu wenig ist es, um Geschmack wahrnehmen zu können.
Troublemakers: Get Misunderstood. Schöner kann ein Freitag Nachmittag nicht enden.
blogistin - Freitag, 21. Oktober 2005, 15:32
Herr Nooteboom erzaehlt von Engeln, seinem neuen Buch und davon, dass er jeden Tag 500 Woerter schreiben muesse, schreiben wolle, 500 Woerter, jeden Tag, sonst waere es kein guter Tag. Erklaeren, nein, so oft die charmante Moderatorin aus Oesterreich auch nachhakt, wurde sie vorgstellt? nein, erklaeren kann er das nicht. Manche Dinge sind einfach wie sie sind. Wortkarg noch in den ersten Minuten, fast so als haette er nichts zu erzaehlen, lesen koenne man ja, sein neues Buch, plaudert er drauf los, ungefragt, als die halbe Stunde vorbei ist. Dreimal noch begegne ich ihm, in den engen, vollen Gaengen, von Interview zu Interview eilt er, jedesmal laechelt er. Ich laechle zurueck.
(Allein wegen der ueberaus amuesanten Show, die der junge Mann, der mir in diesem Arbeitsbereich mit der seltsamen Tastatur, die mir ein y fuer ein z macht, irgendwo abseit des Getummels der Messe gegenueber sitzt, mag ich diesen Platz gerade nicht aufgeben. Er streckt sich, reisst die Arme zu schnell nach oben, als dass es einem Koerper auch nur ansatzweise der Entspannung, der Entkrampfung dienen koennte, spult immer wieder die gleiche Stelle seines Diktiergeraetes ab, auswendig kann ich den Dialog inzwischen, der dort gesprochen wird, wieder und wieder schaut er nach links, nach rechts, zu mir, hinter sich, siebenhundertneunmal hat er in den letzten zehn Minuten seine schlecht geschnittenen Haare nach hinten gestrichen, fettig fallen sie ihm wieder und wieder in die Stirn, er aechzt, stoehnt, rueckt seine Brille gerade, wieder und wieder, keinen Millimeter war sie verrutscht, "Mensch, komm!" knurrt er, tippt, spult das Geraet wieder zurueck und reisst sogleich die Arme in die Hoehe.
"So wird das nie etwas, was immer es ist," denke ich, habe noch nie einen Menschen derart unter Schreibblockade leiden sehen.
Schreibblockade. Gibt es das? "Nein", denke ich. Wie sagte Herr Nooteboom "Ich habe nie eine Idee, ich setze mich hin und schreibe".)
blogistin - Mittwoch, 19. Oktober 2005, 15:50